Was soll mein Bogen können?

 

Mein Bogen vereint alle guten Eigenschaften!

 

 

 

Vergangenes Wochenende habe ich die Bogensportmesse 2019 in Wels besucht. Nachdem ich die zwei vorangegangenen Jahre als Aussteller präsent war, habe ich dieses Jahr die Messe nur als normaler Besucher erlebt. Meine Eindrücke sind vielleicht Inhalt eines anderen Blogbeitrags.

 

 

 

Heute möchte ich über einen bemerkenswerten Werbespruch philosophieren, der mir schon in den letzten Jahren ins Auge gestochen ist: „Unsere Bögen haben alle guten Eigenschaften“. Dieser Spruch steht quer über dem Stand eines Produzenten von laminierten Fiberglasbögen. Die erste Eigenschaft eines guten Werbespruchs erfüllt er auf jeden Fall: er erregt meine Aufmerksamkeit!

 

 

 

Leider scheitert er aber bei der zweiten Anforderung, nämlich diese Erwartungen auch einzulösen. Das traue ich mir zu sagen, obwohl ich den Stand nicht betreten habe und weder mit dem Bogenbauer gesprochen habe noch einen der Bögen in der Hand gehalten oder gar geschossen habe.

 

 

 

Warum ich das nicht getan habe? Fiberglasbögen interessieren mich … nur mäßig, sowohl optisch als auch schußtechnisch. Optisch betrachte ich die verzweifelten Versuche aller Plastikbogenbauer, ihr Produkt von der Konkurrenz unterscheidbar zu machen, mit Belustigung. Form follows Function, deshalb sind moderne Recurvebogen innerhalb bestimmter Parameter optisch sehr ähnlich, die einzige Möglichkeit zur Unterscheidbarkeit liegt noch im Griffbereich und führt mittlerweile zu gewissen Absurditäten. Dieses Problem haben wir mit unseren Holzprügeln weniger, jeder Bogen ist ein Unikat und spiegelt bis zu einem gewissen Grad den Erbauer oder die Erbauerin wider, auch mit gewissen Fehlern.

 

 

 

Schusstechnisch sind moderne Fiberglas/Carbonbögen einem Holzbogen weit überlegen. Deshalb meide ich sie wenn möglich. Ich möchte mir nämlich mein auf Holzbögen kalibriertes Schießgefühl nicht verderben. Ich habe natürlich auch die Sehnsucht nach Präzision, möchte sie mir aber nicht durch Technik erkaufen.

 

 

 

Zurück zum Werbespruch: „Alle guten Eigenschaften!“

 

 

 

Mir erscheint der Spruch aus zwei Gründen problematisch. Erstens wäre zuerst auszudiskutieren, welche guten Eigenschaften wir denn überhaupt wollen bzw. was denn überhaupt die guten Eigenschaften eines Bogens sind. Und zweitens ist es ein unumstößliches Prinzip im Bogenbau, im Leben und überhaupt: wenn ich etwas will, muss ich in der Regel etwas anderes dafür hergeben.

 

 

 

Es folgt eine chaotische Liste von Dingen/Eigenschaften, die mir spontan im Zusammenhang mit der Beschreibung von Bögen einfallen: billig, teuer, schön, hässlich, lang, kurz, wenig Handschock, ruhig im Abschuss, nervöses Schussverhalten, hohe Pfeilgeschwindigkeit, hoher Wirkungsgrad, lange Lebensdauer, leicht, schwer, elegant, charaktervoll, handgearbeitet, höchste Präzision in der Fertigung durch neueste Maschinen, aus heimischer Produktion, Unikat,....

 

 

 

Wenn ich mir die Liste so anschaue, dann stoße ich sofort auf Dinge, die subjektiv sind wie: schön, hässlich, elegant, charaktervoll usw. Schönheit liegt im Auge des Betrachters, was dem einen gefällt, wird jemand anderem nicht gefallen. Ich weiß nicht, ob irgendjemandem sein Compoundbogen optisch „gefällt“, wahrscheinlich schon. Hier zu diskutieren ist also sinnlos, weiter in der Liste.

 

 

 

Dann kommen Eigenschaften wie leicht/schwer und lang/kurz. Da wird es schon interessanter und wir stoßen auf erste Widersprüche. Ist ein schwerer Bogen immer besser? Prinzipiell ja, mehr Gewicht sorgt für mehr Ruhe im Abschuss. Natürlich schlägt das irgendwann ins Gegenteil um, ich warte daher wohl vergebens auf den ersten Bogen mit Bleimittelstück (Bleifüllung von Holzgriffen gibt es aber schon lange). Reine Holzbögen sind wohl die leichtesten Bogen, immer wieder sind Kursteilnehmer, die mit anderen Bogen schießen, über ihre geringes Gewicht überrascht. Trotzdem umwickle ich meine Griffe nicht mit Gold, ich schätze die Leichtigkeit des Holzbogens nicht nur im Bezug aufs Gewicht.

 

 

 

Wie schaut es bei lang/kurz aus? Ist kürzer immer besser, weil beim Handling am Parcours überlegen? Längere Bogen sind prinzipiell gutmütiger zu schießen, kürzere zwar oft schneller, aber auch nervöser und verlangen damit eine bessere Schußtechnik. Damit sind wir mitten im Kern der Angelegenheit gelandet. Wenn ich eine Sache haben möchte, muss ich dafür etwas anderes hergeben.

 

 

 

Lange Lebensdauer muss immer auf Kosten der Leistung gehen. Abgesehen davon, dass Garantien von dreißig oder sogar hundert Jahren (damit werden Bögen ernsthaft beworben) schon aus praktischen Gründen relativ sinnfrei sind, muss ich für lange Haltbarkeit große Sicherheitsreserven in den Bogen einbauen. Andererseits kenne ich Bogenmodelle (moderne Recuvebogen), die zwar enorm leistungsfähig sind, die aber kaum ein halbes Jahr intensives Schießen aushalten. Den Käufern dieser Bögen ist das aber bewusst und sie nehmen das in Kauf.

 

 

 

Viele Eigenschaften bei Bögen schließen sich also gegenseitig aus bzw. ist die goldene Mitte oft am sinnvollsten.

 

 

 

Welche guten Eigenschaften wollen wir also von unserem Bogen?

 

 

 

Wenn ich die ultimative Präzision im Bogenschießen suche, lande ich unweigerlich bei einem modernen Compoundbogen mit einer Vielzahl an technischen Hilfsmitteln. Die damit zu erzielende Präzision ist fast mit einem Gewehr vergleichbar. Am anderen Endes des Spektrums wartet ein Holzbogen auf euch. Er ist von den objektiven Leistungsdaten die schlechteste Wahl. Warum trotzdem viele auf ihrer lebenslangen Reise durch das vielfältige Land des Bogenschießens am Ende bei einem Holzbogen landen, kann ich voll und ganz verstehen.

 

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